Ich habe heute Anna von weltkehrt in einer Facebook-Gruppe getroffen. Das hat mich daran erinnert, dass ich schon lange nicht mehr hier geschrieben habe. Tatsache ist, ich will hier nicht mehr schreiben, weil es mir besser geht und ich mit der Identität als psychisch Erkrankte abschliessen möchte. Dieser Post ist also mein Abschiedspost.
Seit einiger Zeit nehme ich gar keine Psychopharmaka mehr und es geht mir sehr gut damit. Das Absetzen war anstrengend und hart, aber für mich hat es sich definitiv gelohnt. Ich habe wieder Gefühle und bin kognitiv wach. Mir war unter Medikamenten gar nicht so bewusst, wie sehr sie das Fühlen und Denken einschränken. Ich glaube, bei mir haben die Medikamente zu einer Chronifizierung der Erkrankung geführt. Und ich bin der Meinung, das ist nicht nur bei mir so.
Mit reduzierten Gefühlen und reduzierter Denkfähigkeit war ich gar nicht in der Lage, an meinen Problemen therapeutisch zu arbeiten. Ich hatte keinen Zugang zu mir selbst und zu meinen Ressourcen. Während dem Absetzen musste ich neu lernen, mit meinen Gefühlen umzugehen. Und die Gefühle waren sehr intensiv. Die hohe Intensität der Gefühle führte dazu, dass ich neue Strategien lernen musste, denn unterdrücken und ablehnen war nicht mehr möglich. Ich habe das Konzept des Selbstmitgefühls entdeckt und verstanden, dass ich Gefühle annehmen und fühlen darf. Dass sie mich nicht umbringen und dass sich Gefühle mit der Zeit verändern. Das war extrem wichtig auf meinem Weg.
Ich durfte auch lernen, dass ich Bedürfnisse haben und diese offen ausdrücken darf. Früher habe ich oft einfach getan, was die anderen wollten, um ja nicht abgelehnt und kritisiert zu werden. Doch jetzt verstand ich, dass es ok ist, etwas zu wollen und sich dafür einzusetzen, das auch zu bekommen. Ich habe mich auch von einigen Menschen getrennt und den Kontakt zu meiner Mutter abgebrochen, weil sie mir nicht gut taten. Das hätte ich vorher nie gekonnt.
Eines der Gefühle, das bei mir am stärksten unterdrückt war, war die Wut. Auch hier habe ich gelernt, die Wut anzunehmen und auszudrücken und den Menschen in meinem Umfeld zu sagen, was mich wütend macht und warum. Daraus entstanden viele gute Gespräche. Manchmal bin ich auch über mein Ziel hinausgeschossen und musste mich hinterher entschuldigen, aber auch das hat mir geholfen, eine bessere Beziehung mit anderen aufzubauen. Ich habe auch gelernt, dass ich für meine Wut nicht abgelehnt werde. Das war sehr wichtig für mich.
Eine der grössten Herausforderungen war jedoch zu lernen, mich selber nicht mehr abzulehnen. Ich fand heraus, dass ich mich selbst hasste und mich durch meinen inneren Kritiker selbst total sabotierte. Auch hier half mir das Selbstmitgefühl freundlicher mit mir selber umzugehen. Der wichtigste Schritt für mich war, mich selber anzunehmen und zu lernen, dass ich authentisch sein darf.
Zur Therapie gehörte auch, eine neue Sicht auf meine Biographie zu entwickeln und mich selber in einem anderen Licht zu sehen. Ich habe viel Tagebuch geschrieben und meine Erfahrungen reflektiert. Das war manchmal sehr schmerzhaft, oft war ich beim Schreiben unglaublich traurig. Aber es hat mir geholfen zu erkennen, dass ich nicht der schlechte, wertlose Mensch bin, für den mich meine Eltern gehalten haben.
Ich habe in meiner Krankheit immer gemeint, die Stimmen seien mein Problem, aber tatsächlich lag das Problem darin, dass ich mich selber nicht akzeptierte und nicht authentisch war. Die Stimmen waren einfach ein Ausdruck davon. Durch die Stimmen habe ich vielleicht auch das Problem ins Aussen verlagert, um mich nicht mit mir selber auseinanderzusetzen. Ich habe keine Ahnung von Psychoanalyse, aber ich glaube wirklich, dass die Stimmen einfach meine Art waren, mit meinen Gefühlen der Wertlosigkeit und der Angst vor meiner eigenen Vergangenheit umzugehen.
Inzwischen geht es mir sehr gut. Im April werde ich nach Zürich ziehen und dort einen Job suchen und ein Studium beginnen. Ich freue mich wahnsinnig darauf und bin gespannt, was die Zukunft bringt.
Ich danke euch allen, die hier geschrieben und kommentiert haben. Ihr habt mich auf meinem Weg begleitet und eure Antworten haben mir gut getan. Ich wünsche euch alles Gute auf eurem eigenen, individuellen und einzigartigen Lebensweg.
Ganz liebe Grüsse,
Ut